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DIE JANOV-LÖSUNG

THE JANOV SOLUTION  -  Lifting Depression Through Primal Therapy erschien 2007 bei SterlingHouse Books, Pittsburgh, PA 15218

© Copyright 2007 Dr. Arthur Janov

 

Kapitel 1

  Heil Psychotherapie!

 

  In mehr als hundert Jahren Psychotherapie hat sich außer der Kosmetik sehr wenig geändert. Es ist immer noch die 50-Minuten-Stunde, das persönliche Gespräch mit einer Überfülle an Einsichten, eingewickelt in die sanften und süßen Töne eines besorgten Therapeuten. Es gibt noch immer das Schreckgespenst des Unbewussten als Ort unerklärlicher Dämonen – etwas, das man um jeden Preis meiden sollte. Niemand spricht es aus, aber es ist darin inbegriffen, dass man den Patienten sorgfältig in die Gegenwart und weg von der Vergangenheit lenkt. Die Freudianer nennen es jetzt Ego-Psychologie, aber es ist noch immer Psychoanalyse mit etwas anderem Brennpunkt, eine Bekleidung – antike Ausstattung mit einer modernen Fassade. Wir dürfen die Vergangenheit, die den Schlüssel zur Heilung birgt, nicht in dem Bemühen aufgeben, als modern zu erscheinen. Der Hier-und-Jetzt-Ansatz, der in den 1800ern vor der Ankunft der dynamischen Therapie des Sigmund Freud vorherrschte, ist keine zeitgemäße Methode, weil sich der Patient im Dort-und-Damals befindet, nicht im Hier-und-Jetzt.

 

    Leider haben wir uns im Namen des Fortschritts von der Vergangenheit weg zu einem eher gegenwartsbezogenen Ansatz bewegt. Dasselbe gilt für alle kognitiven Therapien und Verhaltenstherapien. Es gibt eine Verherrlichung der Gegenwart, des Hier-und-Jetzt, und ein Sich-Entfernen vom Einzigen, das heilt: die Geschichte. Wir sind historische Geschöpfe, neurologisch geprägt von unserer Vergangenheit. Jede geeignete Behandlung muss sich mit dieser Geschichte befassen. Noch trauriger ist, dass wir seit 100 Jahren mit dem falschen Gehirn reden! Es ist dieses Gehirn, das jede Hoffnung auf eine Heilung emotionaler Krankheit vereitelt. Vor einem Jahrhundert war es gut und schön, mit dem Gehirn zu reden, aber jetzt wissen wir viel mehr darüber, was es beinhaltet; wir können mit dem Gehirn reden, das in seiner eigenen Sprache fühlt. Wir wissen, dass der uns zugefügte Schaden auf tieferen Bewusstseinsebenen eingeprägt ist – weit unterhalb des Orts, wo Worte leben.

 

  Wir müssen eine neue Sprache lernen – die des Unbewussten – mit Worten, die uns helfen könnten, bei Patienten tiefgreifende Veränderung herbeizuführen; schließlich nennen wir es „Geisteskrankheit.“ Und in der Tat sind Worte oft die Abwehr gegen das Fühlen.  Unser Ziel ist es, fühlende Menschen zu erzeugen und keine Geistesgiganten. Ein wichtiger Hinweis zu den Gründen und zur Heilung der Depression ist die Tatsache, dass antidepressive Medikamente und Gehrinchirurgie, wie später erörtert wird, eine Menge dazu beitragen, ihre Symptome zu lindern. Diese Modalitäten wirken oft auf tiefere Gehirnstrukturen – auf das Unbewusste, wenn Sie so wollen. Mit anderen Worten, wenn man auf tiefere Gehirnstrukturen einwirkt, lässt sich Depression zum Teil erfolgreich behandeln. Warum sollten wir das nicht fortsetzen und sagen, dass dann, wenn Psychotherapie auf genau dieselben tieferen Gehirnstrukturen einwirkt, die durch Medikamente beeinflusst werden, sie tiefgreifende Veränderung bei Depression herbeiführen kann. Genau das machen wir.

 

Nun, warum ist das so wichtig? Weil wir nur dort gesund werden können, wo wir verletzt worden sind. Wir wissen jetzt, dass emotionale Wunden tief im Gehirn außerhalb des Bewusstseins liegen. Obgleich das tiefere Gehirn die ganze Zeit mit uns „spricht,“ haben wir nie gelernt, wie man mit ihm spricht. Es redet mit uns in unseren Albträumen, in unserem hohen Blutdruck und unseren Migränen, in unseren sexuellen Problemen und in unserer Unfähigkeit, mit anderen auszukommen. Unsere Geschichte erklärt sich in jedem unserer wachen Augenblicke, und dennoch gehen wir zu Psychotherapeuten, die sich allein auf’s Hier-und-Jetzt und nicht auf die Geschichte konzentrieren wollen. Wenn wir das tun, sind wir in der Psychotherapie gezwungen, das Biest im Inneren mit Gedanken, Einsichten und Medikamenten  zu bezwingen – alles einfach unterdrücken. Das Gegenteil muss man tun: die Schmerzdämonen für alle Zeit aus dem System herauslassen! Sie haben einen Namen; wir können sie auf ihren verschiedenen Reisen erkennen.

 

 Wir sind wandelnde Archive, die im Dort-und-Damals leben. Wir haben uns auf die Gegenwart und auf Worte konzentriert, weil sie am leichtesten zu erreichen sind und keine große Anstrengung erfordern. Obendrein haben wir nicht gewusst, wie wir Zugang zur Geschichte und zu den tiefsten Zonen des Gehirns finden können. Wir wissen jetzt, dass wir die emotionale Reise zu unserer Geschichte antreten und den Schaden durch Wiedererleben (was ich als „Primal“ bezeichne) beheben müssen, wenn wir gesünder werden wollen. Dieser Ausflug ist nicht schwierig, weil wir auf dem Gefährt des Fühlens in die Vergangenheit reisen können. Dort beginnen unsere Probleme und dort liegt die Lösung. Zu wissen, wie man auf das Gefährt des Fühlens gelangt, ist ein wenig komplizierter. Wenn wir in den richtigen Zug einsteigen, ist jeder Halt unterwegs der richtige. Wenn wir in den falschen Zug einsteigen, ist jeder Halt der falsche.
 
Woher weiß ich, dass die Vergangenheit lebenslang in unseren Gehirnen eingraviert bleibt? Und woher weiß ich, dass das Wiedererleben unserer Geschichte die Dinge zum Besseren wendet? Es gibt jetzt Hunderte von Studien in der Wissenschaftsliteratur, welche die Auswirkungen von Vorgeburts- und Geburtstraumen auf spätere Symptome und späteres Verhalten dokumentieren. Gestatten Sie mir, dass ich von einem Forschungsexperiment berichte, das wir durchgeführt haben, um meinen Standpunkt zu verifizieren. Es fand im UCLA- Lungenlaboratorium statt. Wir schlossen zwei Patienten an eine Reihe von Instrumenten an, überwachten den Sauerstoff- und Kohlendioxid-Spiegel und nahmen alle drei Minuten Blutproben, während sie, wie sich herausstellte, einen Sauerstoffmangel bei der Geburt wiedererlebten, etwas, das wir überhaupt nicht geplant hatten. Kein Patient beobachtete den anderen, so dass wir ein ziemlich reines Erlebnis bei beiden Männern hatten. Nach dem Wiedererlebnis machten wir ein anderes Experiment, bei dem jeder Patient das Primal auf jede Weise (gleiche Bewegungen und gleiches Atmen) nachmachte, nur dass sie nicht in der Vergangenheit waren. Beide Patienten wurden nach drei oder vier Minuten beinahe ohnmächtig in einem Zustand, der eindeutig ein Hyperventilationssyndrom war (reduziertes Kohlendioxid und radikal erhöhter Sauerstoff, was zu Benommenheit, Ohnmacht, klauenförmigen Händen, kribbelnden Fingern und Schwindel führt). Während sie in der Vergangenheit waren, atmeten sie etwa zwanzig Minuten sehr tief ohne Hyperventilationssyndrom. (Ich nenne das „Lokomotivatmung“, weil es sich genau so anhört und anscheinend von der Medulla herrührt). Was die Forscher fanden, war, dass der Körper Sauerstoff brauchte, als der Patient in dem alten Feeling und in der damit zusammenhängenden Geburtsanoxie war; der Patient war in jeder Hinsicht „zurück im Damals“, nicht zuletzt auf physiologische Weise. Es war der Beweis der Wahrheit des Wiedererlebens, dass Patienten in der Zeit zurückgehen können und dies auch tun. Und sie gehen nicht nur psychologisch zurück, sondern in einem vollständigen biologischen Zustand. Die Folgerung daraus ist, dass das frühe Bedürfnis nach Liebe dasselbe bleibt und sich in unserem ganzen Leben nicht ändert. Wir suchen nach symbolischer Ersatzbefriedigung, aber sie ist nie befriedigend und zwingt uns, immer weiter nach mehr und mehr zu suchen, und immer vergebens. Die kritische Zeit, in der ein Bedürfnis erfüllt werden muss, ist vorüber.
 
Wir fanden bei der UCLA, dass sich das Säure-Basen-Gleichgewicht trotz des anhaltenden schweren Atmens nicht veränderte. Die Schlussfolgerung der Forscher, die nichts mit Primärtherapie zu tun hatten, war, dass kein anderer Faktor als Erinnerung für die Ergebnisse verantwortlich sein konnte. Kurz gesagt war die Erinnerung auf Leben und Tod real. Sie war eingeprägt. Trotz der Tatsache, dass der Blutsauerstoff im Raum normal war, sendete das Gehirn Signale eines großen Sauerstoffmangels, und das schwere Atmen folgte. Es gab kein Hyperventilations- Syndrom, weil das Gesamtsystem zurück in der Geschichte war und ein Schlüsseltrauma und dringendes Bedürfnis wiedererlebte.
 

Das ist von Bedeutung, weil es uns ein ganzes Universum eröffnen kann hinsichtlich der Tiefe des menschlichen Unbewussten. Es bestätigt, dass sehr frühe Erfahrung in uns eingeprägt ist, nicht nur als Erinnerung sondern als Wunde, die nach Heilung verlangt. Sie ist von Dauer. Wiederleben ist ein reales Ereignis; das Baby-Weinen in einer Sitzung kann der Patient nachher niemals wiederholen. Die Male, die ursprünglich während des Geburtstraumas auftauchten, können später in einer Therapiesitzung wieder erscheinen. Das ist eindeutig keine Simulation. Anders ausgedrückt bleibt die Vergangenheit und ihre Neurobiologie in unserem Inneren eingekapselt. Das kann für eine Reihe schleichender Krankheiten im Erwachsenenleben verantwortlich sein. Bemerkenswert ist, dass die Einprägung sich nie ändert; sie ist unempfindlich gegen Erfahrung. Es ist egal, wie viel Beifall ein Schauspieler bekommt; er braucht immer mehr. Deshalb behaupte ich, dass nur das Verweilen im Kontext einer alten traumatischen Erinnerung heilen kann. Bedenken Sie, dass das Gehirn während der Sitzung trotz des angemessenen Sauerstoffgehalts im Raum einen ernsten Mangel signalisiert und dass der Körper entsprechend reagiert. Er schnappt nach Luft – was alles mit dem zu tun hat, das in der Erinnerung eingeprägt ist. Das spricht für sich selbst. Trotz gegenwärtiger Realität reagieren wir ständig auf die alte eingeprägte Erinnerung (Realität).

 

Der Körper raucht, um den Schmerz der Anoxie abzutöten, oder er nimmt Drogen jenseits aller Kontrolle durch die oberen kortikalen Bereiche. Es ist ein Reagieren auf innere Ereignisse. Deshalb nützen Vorträge übers Rauchen herzlich wenig. Das kleine Mädchen in der Frau nimmt Drogen, um ihren Schmerz abzutöten, was wir nie sehen. Es ist etwas, das der Mensch nie sieht, weil er von dieser Jugend und ihren Gefühlen abgetrennt ist.

 

Hier haben wir es anscheinend mit einem Paradox zu tun: Würde ich die früher kalte, gleichgültige Mutter hereinbringen und sie ihren Sohn in der ganzen Sitzung umarmen und berühren lassen, würde absolut gar nichts passieren. Aber wenn der Patient ihre fehlende Liebe wiedererlebt, passiert alles; es kommt zu einer Normalisierung vieler Parameter, und die Depression beginnt sich zu heben! Warum? Weil sich die Verdrängung ebenso hebt, wenn man den Schmerz fühlt. Somit ist das Ergebnis das gleiche, ob die Mutter das Kind nun ursprünglich liebt oder ob es den Liebesmangel jetzt nach 30 Jahren fühlt. Anders gesagt werden wir von der Geschichte beherrscht, und die Methode, Schmerz aufzulösen, besteht darin, wieder in ihn zu versinken. Wir haben wirklich an Tausenden Patienten Untersuchungen der Vitalfunktionen vorgenommen, um diese definitive Aussage machen zu können.

 

Warum müssen wir diesen Bericht dringend beachten? Um unnötiges Leiden zu beenden. Lassen Sie mich ein Beispiel anführen. Ich habe gesagt, dass Gehirnchirurgie eine neue Behandlung für Depression ist, die zur endlosen Zahl verschriebener Antidepressiva hinzukommt. Der Grund, warum einige Psychologen darauf zurückgreifen, ist, dass alle aktuellen Therapien keine Möglichkeit haben, auf die tiefen Zonen des Gehirns zuzugreifen, wo Depression vielleicht organisiert wird; von daher das Verlangen nach einer Operation. Ich wiederhole, dass wir auf diese tiefen Gehirnareale zugreifen und dadurch sehr gute Ergebnisse bei der Behandlung von Depression erzielen können. Wenn das stimmt, dann kann und sollte man Gehirnchirurgie, eine sehr drastische Angelegenheit, vermeiden. Das soll kein Vorwurf gegen die Chirurgen sein. Sie tun ihr Bestes, um Leiden zu lindern. Aber es gibt einen anderen, natürlichen Weg, der weit weniger drastisch ist und ohne Medikamente oder Operation auskommt. Wir müssen viel tiefer gehen, um Gefühle zu sehen und zu erfahren. Das wirkt auflösend. Es bedeutet, elementare Ursachen zu erforschen und zu erfahren. Genau das nenne ich „Heilung.“

 

Solange wir keinen Zugang zu diesen Tiefen haben, können wir niemals von Heilung sprechen; oder um es anders auszudrücken, wenn wir Zugang zu diesen Tiefen haben, dann können wir von Heilung sprechen.

 

 

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Ende des Kapitels

 

 

 

 

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